Die hessischen Kommunen haben 2018 zum dritten Mal in Folge einen positiven Finanzierungssaldo erzielt. Dieser lag mit 895 Millionen Euro nahezu auf dem 10-Jahres-Hoch des Vorjahres (926 Millionen Euro). Während in anderen Ländern die Kommunen durchschnittlich einen Überschuss von 128 Euro je Einwohner erzielten, verbuchten die hessischen Kommunen jedoch lediglich rund 100 Euro. Zudem zeigte sich auch in 2018 die starke Heterogenität der hessischen Kommunen: Während 308 Kommunen einen Haushaltsüberschuss von zusammen 1,23 Milliarden Euro erzielten, erwirtschafteten 137 Kommunen ein Defizit von insgesamt 337 Millionen Euro. Die höchste „Verbesserung“ gegenüber dem Vorjahr gelang Frankfurt mit plus 232 Millionen Euro, die höchste „Verringerung“ verzeichnete Wiesbaden mit minus 83 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr.
Zwar hohe Einnahmen…
Die hessischen Kommunen hatten im Vergleich der Flächenländer mit 3.696 Euro je Einwohner die dritthöchsten Einnahmen. Mit 1.605 Euro je Einwohner hatten sie im Vergleich die höchsten Netto-Steuereinnahmen (absolut 10 Milliarden Euro). Die Gewerbesteuer war mit 44 % die wichtigste Steuerart. Die Kommunen nahmen durch sie 4,41 Milliarden Euro ein (brutto 5,26 Milliarden Euro). Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer waren auch in 2018 heterogen zwischen den Kommunen verteilt: Die höchsten Gewerbesteuereinnahmen hatte Frankfurt mit 1,67 Milliarden Euro netto; pro Kopf hatte Eschborn die höchsten Gewerbesteuereinnahmen von 5.751 Euro, demgegenüber hatte Weißenborn mit 32 Euro pro Kopf den geringsten Wert aller hessischen Kommunen. Wallmann hebt hervor: „Allein die fünf gewerbesteuerstärksten Kommunen (Frankfurt, Wiesbaden, Kassel, Darmstadt und Eschborn) nahmen mit 2,34 Milliarden Euro rund 53 % aller Gewerbesteuern ein. In diesen fünf Kommunen leben rund 23 % aller hessischen Einwohner. Dies zeigt die überproportionale Gewerbesteuerstärke dieser Kommunen und die starke Heterogenität in Hessen.“
Risiken ergeben sich aktuell für die hessischen Kommunen auf der Einnahmenseite durch die Neuregelung der Grundsteuer. Mit dieser erzielten die hessischen Kommunen in 2018 Einnahmen von 1,17 Milliarden Euro. „Es besteht für die Kommunen das Risiko, dass die Neugestaltung bei unveränderten Hebesätzen zu geringeren Einnahmen in einzelnen Kommunen führen kann. Auch ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand bei der Umstellung ist unvermeidlich. Der Bürger spürt die Auswirkungen erst ab 2025“, so Wallmann.
Der Vorteil bei Gewerbe- und Grundsteuern gegenüber der Einkommensteuer liegt für die Kommunen in der Möglichkeit, über die Festsetzung der Hebesätze die Einnahmehöhe unmittelbar beeinflussen zu können. Nach Auffassung der Überörtlichen Prüfung sollten die Kommunen diese Möglichkeit vor allem bei der Grundsteuer jedoch nur als Ultima Ratio nutzen und zuvor bei den Ausgaben sparen. Nachdem die hessischen Kommunen in der Vergangenheit im Flächenländervergleich tendenziell unterdurchschnittliche Hebesätze erhoben, lagen die Kommunen in 2018 bei Gewerbe- und Grundsteuern über dem Durchschnitt. Wallmann betont: „Die höchsten Hebesätze bei der Grundsteuer B haben aktuell Lautertal mit 1.050, Offenbach mit 995 und Nauheim mit 960 Punkten. Dies verdeutlicht, dass die hessischen Kommunen – vor allem aus Konsolidierungsgründen – in den letzten Jahren spürbar an der Steuerschraube gedreht haben.“
…aber auch hohe Ausgaben
Die hessischen Kommunen sind nicht nur bei den Einnahmen, sondern auch bei den Ausgaben bundesweit in der Spitzengruppe. Ende 2018 gaben sie je Einwohner 3.596 Euro aus. Die bedeutendste Ausgabeart waren mit 27 % die Personalausgaben, die in 2018 auf fast 6 Milliarden Euro (Vorjahr 5,65 Milliarden Euro) anstiegen. Deshalb stehen die Personalausgaben traditionell im Fokus der Überörtlichen Prüfung. In den aktuellen Prüfungen haben wir bei 54 Kommunen insgesamt 13 Millionen Euro an jährlichen Optimierungspotenzialen in der Allgemeinen Verwaltung aufgezeigt.
Relativ hohes Alter
Zum 30. Juni 2018 beschäftigten die hessischen Kommunen rund 117.000 Personen. Der Blick auf die Altersstruktur zeigt, dass die demografische Entwicklung die hessischen Kommunen in den nächsten Jahren stark betrifft: Fast die Hälfte der Beschäftigten (46 %) war mindestens 50 Jahre alt. Wallmann warnt: „Das heißt, rund die Hälfte der Beschäftigten wird in den nächsten 15 bis 20 Jahren aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Dies stellt die Kommunen auf der einen Seite vor die wichtige Aufgabe, den Wissenstransfer zu sichern. Und das, obwohl schon heute einzelne Kommunen freiwerdende Stellen nicht immer besetzen können. Auf der anderen Seite bietet dieser Wandel auch die Chance, die Personalstruktur qualitativ und quantitativ an die veränderten Anforderungen der Bürger beziehungsweise die Aufgaben der Kommunen anzupassen. Dabei kann die Digitalisierung positiv wirken: Sie kann zu einer familienfreundlicheren Arbeitsweise, zu höherer Flexibilität und zu verändertem Personalbedarf durch Automation führen.“
Relativ viele kleine Kommunen
Die durchschnittliche Größe der hessischen Städte und Gemeinden belief sich auf rund 14.800 Einwohner. Auf Basis der langjährigen Prüfreihen der Überörtlichen Prüfung zeigt sich, dass die Wirtschaftlichkeit der Allgemeinen Verwaltung insbesondere von der Gemeindegröße abhängig sein kann. Langfristig ist erst ab einer Gemeindegröße von ungefähr 8.000 Einwohnern eine wirtschaftliche Verwaltung überhaupt möglich. Insgesamt hatten 213 Kommunen weniger als 8.000 Einwohner, also die Hälfte aller Städte und Gemeinden.
Unterhalb dieser Grenze können Größennachteile gegebenenfalls durch Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) minimiert oder ausgeglichen werden. Sind die Gemeinden allerdings deutlich kleiner, sollten sie nach Auffassung der Überörtlichen Prüfung neben einer Ablaufoptimierung durch IKZ auch über eine freiwillige Gemeindefusion mit Nachbarkommunen nachdenken. Das von uns untersuchte Beispiel Wahlsburg/Oberweser zeigt, dass es sich lohnt, freiwillige Fusionen ins Auge zu fassen. Um freiwillige Fusionen zu erleichtern und deren Vorbereitung und Umsetzung zu unterstützen, hat die Überörtliche Prüfung einen Leitfaden entwickelt, der dem Kommunalbericht beigefügt ist und auf der Homepage des Rechnungshofs heruntergeladen werden kann.
Sinkende Kulturausgaben
Kultur ist eine freiwillige Aufgabe der Kommunen. Die Kommunen sind in Hessen der bedeutendste Kulturträger: Sie finanzieren 63 % der Kulturausgaben. Das Land trägt knapp 37 % der Ausgaben. Damit rangieren die Kommunen beim Kommunalisierungsgrad auf Platz 2 im Flächenländervergleich. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Kulturausgaben der hessischen Kommunen – im Gegensatz zum Bundestrend – rückläufig waren: Sie sanken von 69 Euro je Einwohner in 2010 auf 62 Euro je Einwohner in 2015. „Dies kann als Indikator für den hohen Konsolidierungsdruck, der auf den hessischen Kommunen in diesem Zeitraum lag, herangezogen werden“, wertet Wallmann.
Niedrige Kassenkredite dank Hessenkasse…
Die Schulden in den Kernhaushalten der Kommunen sanken gegenüber dem Vorjahr deutlich von 17,6 Milliarden Euro auf 12,9 Milliarden Euro im Jahr 2018. Dabei verringerten sich die Kassenkredite von 5,5 Milliarden Euro auf 545 Millionen Euro. Der Anteil der Kassenkredite an den Kernhaushaltsschulden schmolz damit von 31 % Ende 2017 auf 4 % Ende 2018 ab.
Ursächlich für diesen massiven Rückgang in 2018 war insbesondere das Entschuldungsprogramm „Hessenkasse“, wodurch das Land rund 4,9 Milliarden Euro Kassenkredite der Kommunen ablöste. Als Folge der „Hessenkasse“ waren 80 % der Kommunen Ende 2018 kassenkreditschuldenfrei. Lediglich 90 Kommunen statt vorher 250 hatten überhaupt noch Kassenkredite. Den höchsten Bestand verzeichnete Frankfurt mit 143 Millionen Euro bzw. in der Pro-Kopf-Betrachtung Rüsselsheim mit 866 Euro je Einwohner.
… aber immer noch hohe Altschulden
Bezogen auf die Kernhaushalte verzeichneten folgende Kommunen die höchsten Schuldenstände je Kopf: Heringen war mit 8.183 Euro die höchst verschuldete kreisangehörige Kommune, Hanau mit 3.005 Euro die höchst verschuldete Sonderstatusstadt, Kassel mit 2.948 Euro die höchst verschuldete kreisfreie Stadt und der Hochtaunuskreis mit 2.633 Euro der höchst verschuldete Landkreis in 2018. Am anderen Ende des Schuldenspektrums hatten acht Städte und Gemeinden Schulden von unter 100 Euro je Einwohner.
Die 12,9 Milliarden Euro Schulden in den kommunalen Kernhaushalten sind nicht die ganze Wahrheit: Sie entsprechen nur rund einem Drittel der kommunalen Gesamtschulden. Dazu kommen noch Schulden in ausgelagerten Bereichen wie beispielsweise Eigenbetrieben, GmbH‘s, etc. Diese beliefen sich Ende 2018 auf rund 22,7 Milliarden Euro. Somit ergaben sich kommunale Gesamtschulden von zusammen 35,6 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch implizite Schulden wie Rückstellungen, Bürgschaften oder Garantien. „Wir nehmen in unseren Kommunalberichten immer wieder die „Eisberg“-Perspektive ein, um an die ausgelagerten und die impliziten Schulden zu erinnern!“, so Wallmann.
Im Flächenländervergleich rangieren die hessischen Kommunen bei Berücksichtigung der ausgelagerten Schulden mit 5.707 Euro je Einwohner deutlich über dem Durchschnitt von 4.527 Euro. Der hessische Wert ist der vierthöchste im Vergleich. Wallmann moniert: „Trotz hoher Einnahmen, hoher Realsteuerhebesätze, sinkender Ausgaben beispielsweise bei der Kultur und trotz Hessenkasse haben die hessischen Kommunen immer noch ordentliche Schuldenberge!“
Bitte nicht nachmachen!
Wie kommunale Schulden entstehen, verdeutlicht das Beispiel der Gemeinde Löhnberg: Die Kommune erhöhte trotz Teilnahme am kommunalen Schutzschirm (Entlastung von 4,8 Mio. Euro) ihre Schulden zwischen 2013 und 2017 um 4,1 auf 36,5 Millionen Euro. Ursächlich hierfür waren insbesondere die Errichtung eines Dorfgemeinschaftshauses und zweier Hybridrasenplätze für zusammen 5,6 Millionen Euro, die überwiegend kreditfinanziert waren. Für diese investiven Maßnahmen wurden – entgegen der gesetzlichen Vorgabe – zuvor weder die Wirtschaftlichkeit untersucht noch die Folgekosten ermittelt. Zudem zeigten sich Fehler in den Gebührenkalkulationen und im Haushaltssicherungskonzept. Beim Schutzschirm wurden die vereinbarten Ziele deutlich verfehlt und die Konsolidierungsberichte waren fehlerhaft. Der letzte vorgelegte Jahresabschluss betraf das Jahr 2014. Für die Folgejahre fehlen die Jahresabschlüsse. Das Land hat in 2018 im Rahmen der Hessenkasse neun Millionen Euro an Kassenkrediten abgelöst. „Ohne aktuelle belastbare Datenbasis kann keine Transparenz für die Entscheidungsverantwortlichen und die Bürger hergestellt werden. In der Folge sind auch keine rationalen Entscheidungen möglich“, so Wallmann. „Auffällig war zudem, dass das Regierungspräsidium Gießen die Haushalte trotz fehlender Jahresabschlüsse ab 2015 genehmigte. Auch das Nichterreichen der Schutzschirmziele wurde nicht moniert.“
Digitalen Wandel mitgestalten, nicht verpassen!
Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet Bund, Länder und auch die Kommunen bis Ende des Jahres 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über vernetzte Portale anzubieten. Für alle Bürger und Unternehmen soll ein einheitliches digitales Nutzerkonto eingerichtet werden. Unsere Prüfung zeigte auch hier die Heterogenität der hessischen Kommunen: Einzelne Kommunen stellten ihren Bürgern erste sinnvolle digitale Anwendungen bereit. Ein positives Beispiel war das zentrale Online-Anmelde- und Platzvergabesystem für alle Kindertageseinrichtungen in Rotenburg. Probleme offenbarten sich bei der handschriftlichen Unterschrift. Während die Stadt Petersberg ihren Bürgern bei der Hundesteuer einen vollständigen digitalen Prozess für die Abmeldung anbot, mussten die Bürger in Pohlheim noch das Antragsformular ausdrucken, handschriftlich unterschreiben und der Stadtverwaltung zukommen lassen. Hier zeigen sich beispielhaft die bestehenden rechtlichen Unsicherheiten der Kommunen. Keilmann mahnt: „Die Mehrzahl der hessischen Kommunen hat in kurzer Zeit noch einen langen Weg zu bewältigen, um Bürgern und Unternehmen Dienstleistungen auf einem Qualitätsniveau vergleichbar der Privatwirtschaft anzubieten. Dies ist nicht nur eine rechtliche Pflicht, sondern auch eine Entwicklungschance für alle Kommunen.“ Aktuell entwickelt der Markt für Verwaltungssoftware eine starke Dynamik, die zu einer heterogenen kommunalen IT-Landschaft und damit zu einer Vielzahl von kommunalen Insellösungen führen könnte. Wir empfehlen deshalb dem Land – gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden – ein einheitliches Vorgehen zu fördern. Im Einzelnen empfehlen wir:
- die Landesstrategie auch auf kommunale IT-Themen auszurichten,
- die kommunale Ebene gezielt bei der Planung des Digitalisierungsprozesses zu unterstützen, um Insellösungen zu vermeiden,
- in Abstimmung mit der kommunalen Ebene künftig weitere zentrale Angebote (analog Standesamtsportal und Sozialportal) für die Integration in Kommunalportale bereitzustellen,
- parallel die Einführung der E-Akte in den Kommunalverwaltungen zu unterstützen sowie hierfür die notwendigen Mindeststandards für digitale Verwaltungsabläufe und den Austausch zwischen den Kommunen zu definieren,
- die Kommunen bei rechtlichen Fragen wie der Beweiskraft von digitalisierten Dokumenten oder Bescheiden zu unterstützen, um das Potenzial neuer Technologien für Urkunden, Nachweise und digitale Archive zu erschließen. Hierzu ist auch der rechtssichere Einsatz der elektronischen Signatur zu klären und zu forcieren. Nur so können künftig rechtsverbindliche Anträge von Bürgern und Unternehmen online gestellt und eine medienbruchfreie Kommunikation ermöglicht werden.
Der aus dieser Prüfung erarbeitete Digitalisierungsleitfaden soll den Kommunen helfen, zielgerichtet Digitalisierungsmaßnahmen anzugehen und die künftigen gesetzlichen Vorgaben rechtzeitig zu erfüllen. „Digitalisierung bietet die Chance, den heutigen Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Fachkräftemangel, dem demografischen Wandel und dem Sparzwang in den Verwaltungen, zu begegnen“, so Keilmann. „Digitalisierung kann auch den Ausbau der Interkommunalen Zusammenarbeit ermöglichen, indem sie die räumlichen Grenzen zwischen kooperierenden Kommunen überwindet.
Präsident Wallmann fasst zusammen: „Elementare Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung ist es, dass die Bürger ein substanzielles Vertrauensverhältnis zu ihrem Staat haben und dieser funktionale, nutzergerechte digitale Leistungen anbietet. Die Digitalisierung darf nicht bei den Maßnahmen des Onlinezugangsgesetzes enden, sondern sie muss die kompletten Prozesse zwischen Bürger, Unternehmen und Verwaltung und innerhalb der Verwaltungen umfassen. Aber auch in einer sich weiter verändernden Welt sollten nicht alle 444 Kommunen jeweils das digitale Rad neu erfinden. Es gibt innerhalb und außerhalb unseres Landes bereits viele digitale Lösungen für Verwaltungsprozesse. Deshalb raten wir dazu, auch über die Landes- / Staatsgrenzen hinauszuschauen, um bereits vorhandene Lösungsansätze zu finden, zu bewerten und gegebenenfalls zu übertragen. Um für den Bürger einheitliche, schnelle und unkomplizierte Lösungen effizient und unbürokratisch anbieten zu können, ist eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den staatlichen und kommunalen Akteuren unentbehrlich.