Schulden im Kernhaushalt sind nur ein Teil der kommunalen Schulden
Die Geldschulden der Kommunen setzen sich aus den Liquiditäts- und den Investitionskrediten zusammen. Nachdem 2020 die Geldschulden im Kernhaushalt um 865 Millionen Euro deutlich gestiegen waren, stiegen sie im Jahr 2021 nur gering um 44 Millionen Euro auf 13,9 Milliarden Euro an. Während sich die Liquiditätskredite dabei von 508 Millionen Euro auf 254 Millionen Euro halbierten, stiegen die Investitionskredite von 13,3 Milliarden Euro auf 13,6 Milliarden Euro (plus 300 Millionen Euro).
Neben den Geldschulden im Kernhaushalt bestehen auch noch Geldschulden bei den Beteiligungen etc. (Fonds, Einrichtungen und Unternehmen der Kommunen, sog. FEUs). Diese überstiegen mit 33,2 Milliarden Euro die Geldschulden im Kernhaushalt (13,9 Milliarden Euro) deutlich. Somit befanden sich über 70 Prozent der kommunalen Geldschulden außerhalb der Kernhaushalte und waren damit für die kommunalen Entscheidungsträger nicht auf den ersten Blick erkenn- und steuerbar. Zudem ergeben sich aus diesen Schulden infolge steigender Zinsen auch höhere Haushaltsbelastungen für die Zukunft.
Über die Geldschulden hinaus existieren in den Kommunen noch weitere Verpflichtungen. Ein Beispiel hierfür sind die Bürgschaften und die kreditähnlichen Rechtsgeschäfte, die sich bei den Kommunen auf 4,3 Milliarden Euro summierten. Allein Frankfurt hatte über eine halbe Milliarde Euro an Bürgschaften vergeben (594 Millionen Euro).
Wallmann warnt: „Den Kommunen sollte stets bewusst sein, dass gewährte Bürgschaften Eventualverbindlichkeiten sind. Sie können möglicherweise zu echten Zahlungsverpflichtungen werden. Zudem stellen die Geldschulden des Kernhaushalts oft die maßgebliche Grundlage für die politischen Entscheider dar, sie sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Mehr als zwei Drittel der Schulden sind außerhalb des Kernhaushalts – sozusagen unter der Wasseroberfläche – und damit nicht im direkten Fokus der Entscheider. Das erschwert die politische Entscheidungsfindung enorm.“
Hohe Einnahmen, aber auch hohe Ausgaben
Die Einnahmen der Kommunen stiegen im Jahr 2021 um etwa 4,5 Prozent auf 25,4 Milliarden Euro (2020: 24,3 Milliarden Euro). Laut Bundesstatistik hatte Hessen im Flächenländervergleich mit rund 4.240 Euro je Einwohner den dritthöchsten Wert. Nur die Kommunen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg hatten danach mehr Einnahmen pro Einwohner.
Ein wesentlicher Grund für die hohen Einnahmen der hessischen Kommunen waren die Netto-Steuereinnahmen von insgesamt rund 1.900 Euro je Einwohner (Vorjahr: rund 1.600 Euro je Einwohner). Sie waren die höchsten im Flächenländervergleich.
Von den insgesamt 11,7 Milliarden Euro Netto-Steuereinnahmen entfielen allein auf die Gewerbesteuer 5,7 Milliarden Euro und auf den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer 3,8 Milliarden Euro.
Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer waren innerhalb Hessens sehr heterogen verteilt. Allein die fünf gewerbesteuerstärksten Kommunen (Frankfurt, Marburg, Wiesbaden, Eschborn und Darmstadt) nahmen mit 3,1 Milliarden Euro rund 53 Prozent aller Gewerbesteuern ein. In diesen fünf Kommunen leben rund 21 Prozent aller hessischen Einwohner. Dies zeigt die überproportionale Gewerbesteuerstärke dieser Kommunen und die starke Heterogenität in Hessen. Und der Trend setzt sich in 2022 fort: In den ersten neun Monaten nahmen Frankfurt, Wiesbaden und Marburg knapp die Hälfte aller Gewerbesteuern in Hessen ein.
Die Ausgaben der Kommunen lagen bei rund 25 Milliarden Euro (2020: 24 Milliarden Euro). Hessen hatte im Flächenländervergleich laut Bundesstatistik mit rund 4.190 Euro je Einwohner die zweithöchsten Ausgaben. Ein höheres Ausgabenniveau verzeichneten nur die Kommunen in Nordrhein-Westfalen (rund 4.400 Euro je Einwohner). Die wichtigsten Ausgabearten der hessischen Kommunen waren danach die Personalausgaben (1.095 Euro pro Einwohner), der laufende Sachaufwand (1.029 Euro pro Einwohner) und Transferzahlungen an natürliche Personen (998 Euro pro Einwohner).
Wallmann stellt fest: „Es ist erfreulich, dass die hessischen Kommunen so einnahmestark sind, aber sie sind auch stark bei den Ausgaben. Gerade mit Blick auf die steigenden Energiekosten und die weiteren großen Herausforderungen müssen sie konsequent ihre selbstgesetzten Standards wie Betreuungsrelationen in Kindergartengruppen und auch ihre freiwilligen Leistungen wie Weihnachtsbeleuchtungen oder Wassertemperaturen in den Bädern hinterfragen. Andernfalls werden eventuell die – aufgrund der zu erwartenden Rezession sinkenden – Einnahmen nicht ausreichen, die inflationsbedingt steigenden Ausgaben zu decken. Auch wenn kurzfristig gegebenenfalls mit höheren Ausgaben die Krisenfolgen für die Bürgerinnen und Bürger abgeschwächt und notwendige Investitionen bezahlt werden, gilt: Spätestens mittelfristig müssen sich Einnahmen und Ausgaben wieder ausgleichen. Ansonsten drohen neue und schnell wachsende kommunale Schuldenberge.
Herausforderung durch demografische Entwicklung
Im Jahr 2021 arbeiteten insgesamt rund 127.000 Personen in Voll- oder Teilzeit für die hessischen Kommunen. 45 Prozent davon waren 50 Jahre oder älter. Das bedeutet, dass in den nächsten 10 bis 15 Jahren fast die Hälfte der kommunalen Beschäftigten altersbedingt in den Ruhestand eintreten werden. Aus unserer Prüfung der kleinen Gemeinden ist Berkatal (1.442 Einwohner) besonders auffällig: Dort waren in der Allgemeinen Verwaltung alle Mitarbeitenden 50 Jahre oder älter.
Wegen des akuten Fachkräftemangels wird es für die Kommunen schwierig sein, die Stellen nachzubesetzen – gerade für die Kleinstgemeinden. Deshalb wird der Personalgewinnung eine sehr hohe Bedeutung zukommen. Dabei stehen die Kommunen im Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern aus dem privaten und öffentlichen Bereich. Zusammen mit den Arbeitskräften geht auch ein großer Teil des Fach- und Prozesswissens verloren. Darauf können Kommunen beispielsweise durch interkommunale Zusammenarbeit reagieren. Auch die Digitalisierung bietet durch Prozessoptimierung und Automatisierung eine große Chance.
Wallmann weist darauf hin: „Der Fachkräftemangel macht sich schon seit längerem in allen Branchen bemerkbar. Auch der öffentliche Dienst bleibt davon nicht verschont. Es wird immer schwieriger, offene Stellen nachzubesetzen. Die Kommunen müssen entsprechend reagieren und neue Wege gehen: Interkommunale Zusammenarbeit, Digitalisierung, Mitarbeiterförderung, Flexibilisierung der Arbeit sowie ein positives Image als Arbeitgeber sind mögliche Lösungen. Die demografische Entwicklung wirkt sich nicht nur auf die Verwaltung selber, sondern auch auf die Finanzen (insbesondere der Landgemeinden) aus: Mit einer alternden Bevölkerung gehen tendenziell geringere Einkommensteuereinnahmen einher.“
Brandschutz sicherstellen – Ehrenamt stärken
Der Brandschutz stellt eine kommunale Pflichtaufgabe der Gemeinden dar. Es gab in 2020 in den 422 hessischen Städten und Gemeinden knapp 2.500 freiwillige Orts- und Stadtteilfeuerwehren mit rund 69.000 aktiven ehrenamtlichen Feuerwehrkräften. Die ehrenamtlichen Feuerwehrkräfte sind unverzichtbar für den Brandschutz in den Kommunen.
Bei der Prüfung der kleinen Gemeinden wurde erhoben, ob deren Feuerwehren die gesetzliche Hilfsfrist von zehn Minuten gewährleisten konnten. Der Vergleich zeigte beispielsweise, dass die Feuerwehren Amöneburg, Helsa und Ranstadt in allen Jahren des Berichtszeitraums die Hilfsfrist zu mindestens 85 Prozent einhielten. Insgesamt war aber bei der Mehrzahl der Feuerwehren die Alarmbereitschaft nicht zu allen Zeiten gegeben.
Die Gewährleistung der Hilfsfrist ist vor allem von der Zahl der aktiven Einsatzkräfte abhängig. Durch die demografische Entwicklung ist auch hier künftig mit weniger Einsatzkräften zu rechnen. Die Kommunen stehen vor der Herausforderung, durch geeignete Maßnahmen, wie den Ausbau und die Förderung der Jugendfeuerwehr, die Einsatzbereitschaft auch zukünftig sicherzustellen.
Die Untersuchungen der Überörtlichen Prüfung zeigten jedoch, dass insgesamt die Übernahmequoten aus den Jugendfeuerwehren zu gering sind. Nur fünf der achtzehn geprüften Kommunen werden voraussichtlich bis zum Jahr 2025 in der Lage sein, die aus Altersgründen ausscheidenden Einsatzkräfte durch Nachwuchs aus der Jugendfeuerwehr zu ersetzen. Bei den anderen 13 Kommunen kommt es voraussichtlich zu einer Abnahme der Einsatzkräfte. Berkatal stellt hier mit einer prognostizierten Abnahme um 21 Prozent den höchsten Rückgang des Vergleichs, während Amöneburg seine Einsatzkräfte um über 10 Prozent steigern könnte. Auch hierfür könnte Interkommunale Zusammenarbeit eine Lösung sein.
Wallmann hebt hervor: „Die Gefahrenabwehr durch die Freiwillige Feuerwehr erfordert hohes ehrenamtliches Engagement aus der Bevölkerung. Wir alle können dankbar sein, dass sich so viele Menschen für die Sicherheit ihrer Mitmenschen einsetzten. Leider bleiben auch unsere Feuerwehren nicht vom allgemeinen Trend des demografischen Wandels verschont. Die Kommunen müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um das Ehrenamt für die Bürgerinnen und Bürger attraktiv zu halten. Dies kann durch Anreize wie kostenlosen Eintritt in kommunale Einrichtungen oder die Förderung des LKW-Führerscheins erfolgen. Es muss gelingen, auch weiterhin eine Vielzahl von hoch motivierten Einsatzkräften bereitzuhalten. Nur so kann eine flächendeckende Gefahrenabwehr sichergestellt werden. Diese für die Gesellschaft essenzielle Aufgabe auf ehrenamtlicher Basis verdient Respekt und gesellschaftliche Anerkennung. Ohne das Ehrenamt werden die aktuellen – und auch künftigen – Krisen nicht zu bewältigen sein.“
Und noch eine Krise: der Wald
Der Wald hat viele wichtige Funktionen: Er verbessert und schützt das Klima, ist Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten und dient als Erholungsgebiet. Zudem hat er wirtschaftliche Bedeutung für den (Kommunal-)Haushalt.
Jedoch war auch der Wald in den letzten Jahren durch mehrere Krisen belastet: Starke Stürme, extreme Dürre und Hitzewellen sowie starker Borkenkäferbefall haben den Wäldern und der Forstwirtschaft massive Schäden zugefügt. Für Hessen liegen die Schätzungen der Schadholzmengen insgesamt zwischen 2018 und 2020 bei ca. 23 Millionen m3. Insgesamt führte dies zu einem Überangebot an Holz und damit zu einem Holzpreisverfall.
Bei nahezu allen geprüften Kommunen nahmen schadensbedingte Holzfällungen deutlich zu: Sie stiegen von unter 8.000 Festmetern in 2016 auf über 122.000 Festmeter in 2020 (1.525 Prozent).
Die Windkraft unterstützt maßgeblich die Energiewende. Beispielsweise erzeugen die fünf Windkraftanlagen von Bad Endbach jährlich über 30 Millionen Kilowattstunden Strom und sparen so über 20.000 Tonnen Kohlendioxid ein. Damit decken sie den Stromverbrauch von mehr als 10.000 Haushalten. Gleichzeitig stellt die Windkraft auch eine bedeutende zusätzliche Ertragsquelle dar. Bad Endbach erzielte hieraus einen Jahresüberschuss in Höhe von circa 900.000 Euro. Aus der klassischen Forstwirtschaft nahm Bad Endbach durchschnittlich lediglich 21.000 Euro je Jahr ein.
Neben Holz als Rohstoff fällt bei Holzfällungen und bei pflegenden Maßnahmen sog. Waldrestholz an. Es wird üblicherweise zur weiteren Nutzung in Heizanlagen an Private verkauft. Hingegen nutzte Schöffengrund das Restholz selbst zum Betrieb einer Hackschnitzelanlage. Diese Anlage versorgte 46 Einfamilienhäuser, das Rathaus, das Bürgerhaus, den Bauhof, die Sporthalle und eine Kindertagesstätte mit Wärme.
Wallmann mahnt: „Die Bedeutung des Waldes ist immens – für das Klima, als Lebensraum für Tiere und Pflanzen und als Erholungsgebiet. Zudem hat er wirtschaftliche Bedeutung für Land, Kommunen und Privatwaldbesitzer. Umso gravierender sind die durch den Klimawandel verursachten Schäden der letzten Jahre. Viele Teile des Waldes müssen wieder aufgeforstet werden. Insbesondere durch die aktuelle Energiekrise rückt eine alternative Nutzung des Waldes – als möglicher Standort für Windkraftanlagen – noch stärker in den Fokus. Die – oft sehr emotionalen – Diskussionen der letzten Jahre pro und contra Windkraftanlagen müssen vor dem aktuellen Hintergrund neu geführt werden. Gegebenenfalls sind die Sachverhalte neu zu bewerten. Denn letztlich wird Deutschland regenerative Energiequellen brauchen, die uns unabhängiger von totalitären und somit nicht kalkulierbaren Staaten machen.“
OZG - gesetzlich gefordert, aber noch nicht umgesetzt
Das Onlinezugangsgesetz (OZG) stellt die Kommunen weiterhin vor komplexe Herausforderungen. Bis Ende 2022 sollten sie eigentlich alle – mehr als 500 – onlinefähigen Leistungen digitalisiert und über Portale für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen im Internet möglichst medienbruchfrei bereitgestellt haben. Laut OZG Monitor stehen hierfür momentan landesweit in zentralen Digitalisierungsplattformen 143 OZG-Leistungen zur Verfügung.
Die Untersuchung der Überörtlichen Prüfung zeigte, dass die Anzahl der angebotenen OZG-Leistungen von Kommune zu Kommune stark schwankte. Die meisten OZG-Leistungen wurden im Melde- und Passwesen angeboten.
Insgesamt boten die Kommunen zwischen 6 und 77 OZG-Leistungen an. Wehrheim hatte mit 77 Leistungen das höchste Angebot. Von den 77 Leistungen standen zum Zeitpunkt der Prüfung 42 Leistungen jedoch nur als PDF zur Verfügung. Und dies führte in vielen Fällen zu Medienbrüchen, weil oftmals keine digitale Weiterbearbeitung der Daten in der Kommune möglich war.
Dr. Keilmann, Leiter der Überörtlichen Prüfung, appelliert: „Die Kommunen werden das vorgegebene Ziel, all ihre onlinefähigen Leistungen bis Ende 2022 zu digitalisieren, nicht erreichen. Dies ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Jetzt gilt es erst recht, den Turbo einzulegen und die Anstrengungen zur Digitalisierung zu intensivieren. Vor allem die Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig der Zugang zu digitalen Leistungen ist. Medienbrüche sollten dabei allerdings vermieden werden.“