Collage aus fünf Bildern mit dem Schriftzug "Bemerkungen 2023 (Jahresbericht)"

Hessischer Rechnungshof

Bedarfsorientiert investieren, Prozesse vereinfachen und Handlungsspielräume erweitern

Präsident Dr. Walter Wallmann stellte heute im Rahmen einer Landespressekonferenz die Bemerkungen 2023 vor. Schwerpunkte waren neben der Analyse des Landeshaushalts, Windkraftanlagen, Digitale Dorflinden, komplexe Förderverfahren sowie der IT-Einsatz durch Gerichtsvollzieher.

Bedarfsorientiert investieren, Prozesse vereinfachen und Handlungsspielräume erweitern

Das Land erzielte im Jahr 2023 ein Finanzierungsdefizit von 680 Millionen Euro. Die Schulden des Landes wurden um rund 340 Millionen Euro reduziert. Sie beliefen sich Ende 2023 auf insgesamt 50,4 Milliarden Euro. Die Schuldenbremse wurde eingehalten. Das Spektrum der diesjährigen Bemerkungen reicht von Windkraftanlagen über die Förderung sog. Digitaler Dorflinden bis hin zum IT-Einsatz von Gerichtsvollziehern. Präsident Dr. Walter Wallmann fordert angesichts der aktuell in Bund, Land und Kommunen diskutierten milliardenschweren Investitionsprogramme zunächst die tatsächlichen Bedarfe festzustellen und nur absolut notwendige wirtschaftliche Investitionen zu tätigen. Er moniert zudem die zu komplexe Bürokratie – insbesondere bei staatlichen Förderverfahren. Defizit durch geringere Steuereinnahmen – Schulden reduziert und Schuldenbremse eingehalten Das Land erzielte 2023 ein Finanzierungsdefizit von rund 680 Millionen Euro – gegenüber einem positiven Saldo von 1,74 Milliarden Euro im Vorjahr. Hier wirkten sich insbesondere geringere Steuereinnahmen gegenüber dem Rekordjahr 2022 aus: Diese betrugen insgesamt 25,6 Milliarden Euro und waren damit rund 900 Millionen Euro geringer als im Vorjahr. Präsident Wallmann betont: „Wir haben bereits bei unserer letzten Pressekonferenz darauf hingewiesen, dass sich die Einnahmen in 2023 deutlich verringern werden und dadurch der Handlungsspielraum des Staats enorm reduziert wird. Genau das ist eingetreten. Wir wollen mit unseren Bemerkungen Hinweise geben, wie sich die reduzierten Handlungsspielräume durch wirtschaftliches Verwaltungshandeln wieder erweitern lassen.“

Der Schuldenstand des Landes verringerte sich – unter Einbeziehung von Schutzschirm und Hessenkasse – leicht von 50,8 Milliarden Euro auf 50,4 Milliarden Euro. Die Schuldenbremse wurde eingehalten.
Bei doppischer Betrachtung – also der kaufmännischen Lesart – zeigte sich ein Verlust von insgesamt 9,1 Milliarden Euro. Wallmann erläutert: „Der Personalaufwand stellt mit 26,6 Milliarden Euro die größte Aufwandsposition des Landes dar und hat sich im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Dabei spielte auch die Anhebung der Besoldung und der Versorgungsbezüge eine Rolle. Insbesondere wirkte sich hier aber die finanzmathematische Anpassung bei den Pensionen und Beihilfen aus. Allein diese belastete das Jahresergebnis mit 3,9 Milliarden Euro.“
Der Verlust wirkte sich auf das Eigenkapital des Landes aus. Dieses reduzierte sich gegenüber dem Vorjahr von bereits -129,3 Milliarden Euro auf nun -138,3 Milliarden Euro. Gegenüber der Eröffnungsbilanz in 2009 hat sich das schon damals negative Eigenkapital von 64,9 Milliarden Euro dementsprechend mehr als verdoppelt.
„Das Anlagevermögen des Landes umfasst materielle, langlebige Vermögenswerte, beispielsweise Grundstücke, Gebäude, Verkehrsinfrastruktur und Wertpapiere. Es nahm im Haushaltsjahr 2023 um 143,3 Millionen Euro auf 31,3 Milliarden Euro zu. Das Land erfüllte damit die gesetzliche Zielsetzung, das Anlagevermögen zu erhalten“, betont Wallmann, warnt jedoch: „Trotzdem stellen wir in der Praxis einen Investitionsstau in vielen Bereichen fest. Dies gefährdet die Zukunftsfähigkeit und tangiert die Generationengerechtigkeit unseres Landes, weil damit von der Substanz gelebt wird. Mit Blick auf den Investitionsstau ist es daher grundsätzlich als gut zu bewerten, dass der Bund ein Investitionspaket über 500 Milliarden Euro beschlossen hat, von denen den Ländern und Kommunen 100 Milliarden Euro zufließen sollen. Allerdings sollten diese Mittel und die eingeräumten Verschuldungsmöglichkeiten nur für zusätzliche Maßnahmen eingesetzt werden. Die Investitionen müssen sich am bestehenden Bedarf orientieren. Dabei dürfen vor allem die Folgekosten der Investitionen nicht vergessen werden, denn diese belasten künftige Haushalte und engen Spielräume weiter ein. Ziel der Investitionen muss es sein, Wirtschaftswachstum zu ermöglichen, um den Standort Deutschland zu stärken. Die zusätzlichen Mittel dürfen nicht für konsumtive Zwecke genutzt werden. Als Rechnungshof werden wir in den nächsten Jahren genau hinschauen und prüfen, wie insbesondere mit diesen Mitteln umgegangen wird.“

Windräder – viel Wind um den Rückbau

Anfang 2022 waren in Hessen 1.147 Windräder in Betrieb. Weitere 467 Anlagen befanden sich im Genehmigungsverfahren. Für die Genehmigung von Windrädern müssen sich die Antragstellenden verpflichten, die Anlage nach der Nutzung zurückzubauen und die Bodenversiegelungen zu beseitigen. Dafür waren Sicherheitsleistungen in Form von Bürgschaften zu erbringen.
Die Höhe dieser Sicherheitsleistung ermittelte sich seit 2013 durch die Formel: Nabenhöhe des Windrades (m) x 1.000 Euro. Vorher mussten die Antragstellenden die voraussichtlichen Rückbaukosten selbst schätzen und im Antrag angeben. Damals beliefen sich diese Schätzungen bei 34 von uns untersuchten Windrädern auf durchschnittlich 1.293 Euro je Meter Nabenhöhe.
Wallmann moniert: „Die Sicherheitsleistungen sind zu gering. Sie entsprechen nicht einmal den von den Betreibern selbst geschätzten Werten. Zudem beinhalten sie keine Preissteigerungen. Dadurch besteht für das Land künftig das Risiko, dass es bei einem Betreiberausfall selbst für die Rückbaukosten aufkommen muss, die nicht durch die Sicherheitsleistung abgedeckt wären. Das Land sollte deshalb auf Basis einer belastbaren Preiskalkulation realistische Sicherheitsleistungen ermitteln und einfordern.“

Digitale Dorflinde – nicht mit der Gießkanne, sondern nach Bedarf fördern

Das Förderprogramm Digitale Dorflinde unterstützt Kommunen bei der Einrichtung von öffentlichem, kostenlos verfügbarem WLAN. Bis zum Ende des ersten Quartals 2023 wurden rund 3.000 Digitale Dorflinden mit einem Finanzvolumen von rund 3 Millionen Euro bewilligt. Die Dorflinden gingen jedoch nicht in das Eigentum der Kommunen über, sondern wurden ihnen lediglich für drei Jahre zur Nutzung überlassen.
Bei der Auswahl der Förderobjekte wurde nicht berücksichtigt, ob an den zukünftigen Standorten Breitband zur Anbindung der Dorflinden an das Internet verfügbar war. Dies ist jedoch Voraussetzung für die Errichtung der Dorflinden. Außerdem wurde der Bedarf nicht hinreichend ermittelt. Eine stichprobenhafte Untersuchung der Zugriffszahlen zeigte in der Regel eine geringe bis sehr geringe Auslastung der Dorflinden. Von den untersuchten Standorten wiesen 36 Prozent maximal einen Zugriff pro Tag auf. In mehr als der Hälfte der Fälle wurde maximal drei Mal täglich auf eine Dorflinde zugegriffen. Durchschnittlich waren weniger als sieben Zugriffe pro Tag auf eine Dorflinde zu verzeichnen.
Wallmann fordert: „Das Ziel, den Kommunen und den Bürgerinnen und Bürgern dauerhaft WLAN zur Verfügung zu stellen, kann so nicht erreicht werden. Nur für drei Jahre verfügbare Dorflinden, die zudem überwiegend kaum benötigt und genutzt werden – dies ist weder effektiv noch nachhaltig noch wirtschaftlich. Vor Fortführung des Förderprogramms muss eine umfassende Untersuchung des Bedarfs sowie der Wirtschaftlichkeit erfolgen. Dabei muss auch berücksichtigt werden, ob und wie die Dorflinden bisher genutzt wurden. Alles Fördern bringt nichts, wenn es kaum Bedarf und am Schluss kaum Nutzende gibt.“

Digitale Innovationsförderung – zu komplexes Förderverfahren

Das Förderprogramm Distr@l unterstützt seit 2019 die Entwicklung digitaler Innovationen. Es richtet sich an kleine und mittlere Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Start-up-Unternehmen. Bis einschließlich 2022 wurden 90 Projekte mit einem Finanzvolumen von insgesamt 27 Millionen Euro bewilligt. Das Förderprogramm umfasste insgesamt sieben Fördertatbestände. Deren unterschiedliche Bewertungskriterien führten zu einer hohen Komplexität. Diese Komplexität hatte teilweise hohen Beratungsaufwand zur Folge. Darüber hinaus wurde das Förderprogramm nicht durchgängig digital abgewickelt.
Wallmann regt an: „Der Einsatz einer digitalen Plattform für das Förderprogramm könnte eine Hilfestellung für die Antragstellenden bieten. Dies würde den sicheren Austausch von Daten erleichtern sowie zu einer höheren Datenqualität führen. Hier sollte gerade das Digitalministerium mit gutem Beispiel vorangehen und ein durchgängig digitales Verfahren anbieten. Des Weiteren müssen wir dringend die Komplexität von Förderprogrammen überdenken. Distr@l ist ein gutes Beispiel dafür, dass komplexe Förderprogramme zu hohem Aufwand sowohl bei den Antragstellenden als auch bei der Verwaltung und damit zu einer hohen Fördermittelbürokratie führen. Ähnliches haben wir bereits in der Vergangenheit auch bei anderen Förderprogrammen festgestellt. Daher sollten solche Förderprogramme und Prozesse deutlich vereinfacht werden.“

Gerichtsvollzieher – Riskante IT-Insellösungen

Die rund 300 in Hessen tätigen Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher erfassten und verwalteten selbständig auf ihren persönlichen Rechnern Daten von Auftraggebern, Gläubigern, Schuldnern und Drittschuldnern zu jährlich über 450.000 Aufträgen im Wege der Zwangsvollstreckung. Für ihre notwendige IT hatten sie selbst zu sorgen. Darunter fiel auch das Aufspielen regelmäßiger Updates und geeigneter Virenscanner sowie die Administrierung von Firewalls und die tägliche Erstellung von Sicherungskopien.
Diese Aufgaben sind risikobehaftet, fehleranfällig, aufwendig und setzen teilweise fundierte IT-Kenntnisse voraus. Darüber hinaus waren Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher nicht an das Justiznetz angeschlossen. Dadurch konnten sie keinerlei Sicherheitsstandards und Synergie-Effekte der Landesinfrastruktur nutzen.
Wallmann mahnt deshalb: „Hier handelt es sich um hochsensible personenbezogene Daten wie Name, Bankverbindung und Schuldenstand. Die Verantwortung über den Schutz von Daten, Hard- und Software wird mit unkalkulierbaren Risiken auf die Gerichtsvollzieher verlagert. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die zunehmenden Cyber-Angriffe mehr als bedenklich und nicht länger hinnehmbar!“

Ausblick

Wallmann fasst zusammen: „In meiner ersten Pressekonferenz zu den Bemerkungen 2013 habe ich gesagt, dass kein Weg an einer nachhaltigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vorbei führt, auch wenn dies mit schmerzhaften Konsequenzen verbunden ist. Das gilt auch heute noch! Mit Blick auf die vergangenen zwölf Jahre ist festzuhalten, dass sich die Rahmenbedingungen verschlechtern und die Herausforderungen zunehmen. Krisen sind unsere ständigen Begleiter und wir haben noch nicht für jedes Problem eine passende Lösung. Im Gegenteil: Gerade mit Blick auf die enorme Bürokratie ist festzustellen, dass es nicht nur neue Krisen sind, die unsere Handlungsfähigkeit einschränken und unsere Zukunftsfähigkeit bedrohen, sondern sich auch ungelöste Probleme der Vergangenheit immer stärker auswirken. Deshalb ist ein „weiter so“ nicht möglich. Aus meiner Sicht sind daher aktuell drei Punkte von elementarer Bedeutung:

1. Wir brauchen den Mut, Entscheidungen schneller zu treffen. Wir müssen jetzt unsere Infrastruktur zukunftsfähig machen. Dabei dürfen wir aber mit Blick auf die Generationengerechtigkeit die dabei entstehenden Schulden nicht vernachlässigen.
2. Wir müssen alle staatlichen Aufgaben und Prozesse auf den Prüfstand stellen. Vor allem mit Blick auf den Fachkräftemangel und den demografischen Wandel müssen wir auf allen staatlichen und kommunalen Ebenen Bürokratie abbauen. Deshalb freut es mich, dass der hessische Entbürokratisierungsminister hier eine klare Agenda verfolgt und aktuell ein Entbürokratisierungsgesetz vorlegt.
3. Auch unser Förderwesen muss dringend reformiert werden. Alle Förderprogramme sind sukzessive auf Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit zu evaluieren. Das komplette Verfahren ist deutlich zu vereinfachen und durchgängig zu digitalisieren. Der mit der Förderabwicklung entstehende Aufwand muss in einem angemessenen Verhältnis zum Fördervolumen und den Risiken für das Land stehen.“
Zum Schluss der Pressekonferenz bedankt sich Präsident Dr. Wallmann für die faire Berichterstattung während seiner Amtszeit: „Gerade in Zeiten wie diesen ist eine freie und gut informierte Presse ein wichtiger Baustein einer stabilen Demokratie. Wir können als Rechnungshof nur mit Argumenten überzeugen, da wir keine originären Durchsetzungsmöglichkeiten haben. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei Ihnen für die stets vertrauensvolle und faire Zusammenarbeit ganz herzlich bedanken.“

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