IT und Digitalisierung – Medienbrüche, Sicherheitslücken, immer noch viel Papier!
Bei unseren Prüfungen im Bereich IT und Digitalisierung zeigten sich Mängel im Planungs- und Projektmanagement, IT-Sicherheitsdefizite bei Schutzbedarfen und Serverräumen sowie Medienbrüche trotz Digitalisierung.
IT-Fachverfahren in der Justiz – verspätet und deutlich teurer!
Die eJustice-Gesetze des Bundes sehen die verbindliche Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs ab 2018 und der E-Akte bis Ende 2026 vor. In der hessischen Justiz ist die Einführung dieses eJustice-Programms aber aufgrund von Planungs- und Projektmängeln hinsichtlich Zeit und Kosten weit außer Plan. Die Laufzeit hat sich von sechs Jahren auf nunmehr elf Jahre fast verdoppelt und die geplanten Kosten sind von 37 Millionen Euro (2015) um 354 Prozent auf 168Millionen Euro (2019) gestiegen.
Seit der gesetzlichen Verpflichtung können u.a. Schriftsätze, Anträge und Erklärungen von Rechtsanwälten als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Bis zur Einführung der elektronischen Akte bei den Gerichten müssen diese elektronischen Posteingänge aber ausgedruckt werden, um sie in der rechtsverbindlichen Papierakte bearbeiten zu können. In der gerichtlichen Praxis ist vielfach von den Gerichten als „Druckstraße der Anwälte“ die Rede. Während im Jahr 2018 erst rund 74.000 Eingänge über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingingen, waren es im Jahr 2019 bereits rund 441.000. Dies alles führt zu unnötigen und teuren Medienbrüchen, aus denen wiederum auch eine längere Bearbeitungszeit resultiert.
Wallmann weist darauf hin: „Der Presse ist immer wieder zu entnehmen, dass in der Justiz Personal fehlt. Durch eine stringente Digitalisierung könnten hier enorme Potenziale gehoben werden. Aktuell führen die unvollendete Digitalisierung und die Medienbrüche jedoch zu einer Mehrbelastung und binden zusätzliche Personalressourcen. Durch die Nutzung der E-Akte müsste mindestens eine halbe Million Schriftsätze pro Jahr nicht mehr ausgedruckt werden. Diese personellen Ressourcen könnten dann sinnvoller eingesetzt werden. Gleichzeitig muss aber auch das Projektmanagement deutlich verbessert werden. Eine Kostensteigerung von über 350 Prozent ist nicht akzeptabel.“
IT-Organisation im Umweltressort – Sicherheitsrisiken für Daten und Serverräume
Laut Informationssicherheitsleitlinie sind für alle IT-Systeme und -verfahren Sicherheitskonzepte einschließlich einer Schutzbedarfsfeststellung zu erstellen.
Nach den Feststellungen des Rechnungshofs waren bei 230 IT-Fachverfahren im Umweltressort, dies entspricht ca. 65 Prozent der Fachverfahren, die Schutzbedarfe seit der Aktualisierung der Informationssicherheitsleitlinie im Juli 2016 nicht überarbeitet oder ermittelt worden. Dies führt dazu, dass keine bedarfsgerechten Sicherheitskonzepte erstellt werden können und möglicherweise erhebliche Sicherheitsrisiken nicht entdeckt werden.
Außerdem waren beim Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie in den Serverräumen erhebliche Brandlasten wie Möbel oder Verpackungen deponiert. Die Klimatisierung der Räume war mangelhaft und von Ausfällen geprägt. Dadurch fielen mehrmals Server sowie andere zentrale Komponenten des Netzwerks aus.
Wallmann fordert: „Die IT-Schutzbedarfe müssen schnell definiert werden. Die festgestellten Mängel in den Serverräumen müssen beseitigt und die Brandschutzvorgaben eingehalten werden. Aus unserer Sicht sollte das Landesamt über eine Verlagerung der IT-Infrastruktur in das Rechenzentrum der HZD nachdenken.“
Erbschaftsteuer – durch Digitalisierung für Erben und Staat schneller!
Die drei hessischen Erbschaftsteuerstellen setzten in 2018 rund 570Millionen Euro Erbschaftsteuer fest. Jährlich gehen 70.000 Sterbefallanzeigen in Papierform ein. Je nach Einzelfall wird dazu ein Vielfaches an Unterlagen in Papierform eingereicht. Der Zuordnungs- und Sortieraufwand für Hunderttausende Papierbelege würde durch Digitalisierung entfallen. Somit könnte das mit dieser Arbeit betraute Personal für andere Tätigkeiten eingesetzt werden.
Zudem könnte durch digitalisierte Prozesse eine deutlich schnellere Bearbeitung erfolgen. Momentan beginnt die händische Auswertung der Unterlagen grundsätzlich erst sechs Monate nach Ende des Sterbemonats. Je länger sich die Festsetzung und Realisation der Erbschaftsteuer verzögert, desto größer wird das Risiko, die Steuer nicht oder nicht mehr vollständig vereinnahmen zu können. Daneben besteht der Wunsch der Steuerpflichtigen, die Steuerlast zeitnah zu erfahren und zu begleichen. Dies ist beispielsweise in Erbschaftsstreitigkeiten wichtig.
Wallmann betont: „Gerade bei der Erbschaftsteuer ist es vor allem für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für den Staat wichtig, dass es ein zügiges Verfahren gibt. Nur durch die Digitalisierung können die Prozesse beschleunigt, vereinfacht und verbessert werden. Zudem könnte der Staat dadurch einen Liquiditätsvorteil erzielen und wäre von weniger Steuerausfällen bedroht.“
Wallmann fasst zusammen: „Unsere drei Digitalisierungsprüfungen zeigen, dass noch viel zu tun ist: Hinsichtlich der Nutzerfreundlichkeit und Schnelligkeit für Bürgerinnen und Bürger, hinsichtlich Wirtschaftlichkeit in der staatlichen Verwaltung und hinsichtlich IT-Sicherheit der Daten und Prozesse. Um diese Aspekte zu verbessern, müssen die Prozesse konsequent vom Nutzenden her gedacht werden und Medienbrüche vermieden werden. Das Land ist hier gefordert, die aktuellen Rechtsnormen und Rahmenbedingungen im Sinne der Digitalisierung anzupassen. In genau diesem Zusammenhang haben wir das Land auch als Landesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit umfassend beraten.“
Nachgehakt: Schwere Vergabeverstöße bei der Städtebauförderung
Der Rechnungshof beanstandete in seinen Bemerkungen 2017 schwere Vergabeverstöße der Stadt Darmstadt. Diese erhielt von 1999 bis 2014 für die Städtebauförderung rund 5,1 Millionen Euro Bundes- und Landesmittel aus dem Programm Soziale Stadt.
Aufgrund der vom Rechnungshof festgestellten Vergabeverstöße wurden die förderfähigen Kosten in der Schlussabrechnung 2020 in Höhe von insgesamt rund 1,65 Millionen Euro verringert. Dadurch musste Darmstadt im März 2021 rund eine Million Euro an das Land zurückzahlen. Dieses Geld steht nun für die Förderung anderer Kommunen zur Verfügung.
Wallmann betont: „Hier hat sich die beharrliche Arbeit des Rechnungshofs ausgezahlt. Mit öffentlichem Geld geförderte Projekte bedürfen selbstverständlich auch einer öffentlichen Kontrolle. Schwere Vergabeverstöße können in einem Rechtsstaat nicht hingenommen werden.“
Paradigmenwechsel finanzieren
Wallmann fasst zusammen: „Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Die letzten Jahre sind zunächst durch die Pandemie und jetzt durch den Krieg geprägt. Finanziell haben Bund und Land hierauf reagiert und Sondervermögen betreffend die Pandemie, die Bundeswehr und den Klimaschutz eingerichtet bzw. geplant. Insbesondere das Urteil des Staatsgerichtshofs hat verdeutlicht, wie schwer es ist, diesen Weg rechtssicher zu beschreiten. Vor allem, da das Haushaltsrecht – auch mit seiner Schuldenbremse – zwar Notlagenmechanismen vorsieht, die aber nicht vor dem Hintergrund der alle Bereiche umfassenden Corona-Pandemie oder eines Krieges in Europa entwickelt wurden. Wenn Leben und Gesundheit der Menschen bedroht sind – sei es durch Pandemie oder Krieg – rücken haushaltsrechtliche Fragen zunächst erst einmal in den Hintergrund. Sparsamkeit und Finanzkontrolle sind dennoch wichtig, da Ressourcen frei gemacht werden müssen für die anstehenden Herausforderungen, wie zum Beispiel auch Organisation und Unterbringung von Flüchtenden. Egal, ob es um den Bundes-, Landes- oder Kommunalhaushalt geht, gilt: An einer Priorisierung von Aufgaben und Mitteln geht kein Weg vorbei, wenn der Paradigmenwechsel gelingen soll.“